20. Juli 2020

Schein­selbst­stän­dig­keit: hohes Risiko für Frei­be­rufler

Wer gut ver­dient, ist gern selb­ststän­dig. Nur die Ren­ten­ver­sicherung macht Pro­ble­me: Sie sieht Frei­be­ruf­ler und Klein­un­ter­neh­mer oft in Schein­selb­ststän­dig­keit. Auf­trag­ge­ber wol­len dann Ho­no­rare zu­rück, da An­ge­stell­te we­ni­ger ver­die­nen. Frei­be­ruf­ler brau­chen an­walt­lichen Rat.

Text: Sigrun an der Heiden

hr Wissen ist gefragt, ihre Hono­rare sind üppig. Hoch quali­fi­zierte Spezia­listen, etwa IT-Experten und selbst­stän­dige Inge­nieure, brau­chen kaum staat­li­chen Schutz vor Ausbeu­tung. Von der Deut­schen Renten­ver­si­che­rung Bund (DRV) bekommen trotzdem viele dieser Frei­be­rufler regel­mäßig Schein­selbst­stän­dig­keit attes­tiert. Das macht sie zu Fest­an­ge­stellten wider Willen: 96 Prozent der IT-Experten wollen unab­hängig sein, sie sind mit ihrer wirt­schaft­li­chen Lage sehr zufrieden. Oft entscheidet die DRV zu Beginn der Exis­tenz­grün­dung auch für Klein­un­ter­nehmer auf Schein­selbst­stän­dig­keit. Wer unter 22.000 Euro Jahres­um­satz erwirt­schaftet, darf auf den Ausweis der Umsatz­steuer verzichten. Doch da er wenig verdient, riskiert er beson­ders, dass die Renten­ver­si­che­rung ihm Schein­selbst­stän­dig­keit beschei­nigt. Viele Betriebs­prü­fungen und jedes dritte Status­fest­stel­lungs­ver­fahren machen Frei­be­rufler zu abhängig Beschäf­tigten. Das Haupt­ri­siko tragen die Auftrag­geber: Die Nach­zah­lung von vier Jahren Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trägen. Doch Schein­selbst­stän­dige müssen nun eben­falls bluten: Unter­nehmen können von ihnen einen Teil des Hono­rars zurück­for­dern, da sie als Ange­stellte viel weniger verdient hätten. Betrof­fene brau­chen dann den Rat eines Anwalts.

Frei­be­ruf­ler: Schein­selbst­stän­dig­keit trotz ho­hem Ho­no­rar

Beim Stich­wort Schein­selbst­stän­dig­keit denken viele an Paket­boten, die zu Dumping­preisen zwölf Stunden und länger Pakete auslie­fern. Die selbst­stän­digen Boten arbeiten wie Fest­an­ge­stellte – nur länger und billiger. Die Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­träge sparen sich Auftrag­geber ganz. Schließ­lich ist der Dienst­leister selbst­ständig und fährt auf eigene Rech­nung. Solche Fälle von Sozi­al­ver­si­che­rungs­be­trug muss der Gesetz­geber bekämpfen. Viele gut verdie­nende Frei­be­rufler geraten jedoch eben­falls ins Visier der Renten­ver­si­che­rung. Das Damo­kles­schwert Schein­selbst­stän­dig­keit bedroht hoch quali­fi­zierte Frei­be­rufler beson­ders, wenn sie in Räumen des Auftrag­ge­bers an Projekten arbeiten. Sie führen ein neues IT-System ein, retten Daten, treiben Inno­va­tionen voran, schulen Mitar­beiter – und tragen kaum ein unter­neh­me­ri­sches Risiko. Denn sie verkaufen ihr Know-how, als Geschäfts­aus­stat­tung reicht ein Note­book. Sind sie dann in Arbeits­ab­läufe des Auftrag­ge­bers einge­bunden, unter­stellt die Renten­ver­si­che­rung trotz üppiger Hono­rare schnell Schein­selbst­stän­dig­keit. Dabei spre­chen gerade hohe Hono­rare für Selbst­stän­dig­keit, sagt das Bundes­so­zi­al­ge­richt. Auch Klein­un­ter­nehmer riskieren Schein­selbst­stän­dig­keit, wenn sie in der Exis­tenz­grün­dungs­phase wenig verdienen oder zunächst nur einen Auftrag­geber haben.

Keine ver­bind­lichen Kri­te­rien für Schein­selb­ststän­dig­keit

Es fehlen verbind­liche Krite­rien, mit denen sich prüfen lässt, ob Schein­selbst­stän­dig­keit vorliegt. Trotz Forde­rungen von Wirt­schafts­ver­bänden und Politik geht es bei dem Thema nicht voran. Wegen mögli­cher Schein­selbst­stän­dig­keit wollen Klein­un­ter­nehmer und Frei­be­rufler mehr Rechts­si­cher­heit, ebenso die Auftrag­geber. Die bietet beispiels­weise eine Klärung bei der Clea­ring­stelle der Renten­ver­si­che­rung, aber eine Antwort kommt erst nach durch­schnitt­lich 85 Tagen. Oft ist die Zusam­men­ar­beit dann schon beendet. Abhän­gige Beschäf­ti­gung attes­tiert die Renten­ver­si­che­rung also erst im Nach­hinein. Trotzdem muss der Auftrag­geber die ganzen Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­träge nach­zahlen, wenn das Urteil für Frei­be­rufler oder Klein­un­ter­nehmer auf Schein­selbst­stän­dig­keit lautet. Frei­be­ruf­liche IT-Experten verlieren Aufträge und fordern daher eine Über­ar­bei­tung des Status­fest­stel­lungs­ver­fah­rens. 87 Prozent wollen die Einfüh­rung von Posi­tiv­kri­te­rien, die ihre Selbst­stän­dig­keit zwei­fels­frei belegen. Tut der Gesetz­geber nichts, entscheiden in letzter Instanz die Gerichte, ob Schein­selbst­stän­dig­keit vorlag. Die Urteile fallen unter­schied­lich aus – zum Teil wider­spre­chen sie sich auch. Das verun­si­chert. 56 Prozent der IT-Spezia­listen mussten deshalb schon wirt­schaft­liche Einbußen hinnehmen.

Scheinselbstständigkeit: hohes Risiko für FreiberuflerSchein­selb­ststän­dig­keit ist ein Ri­si­ko für Klein­un­ter­neh­mer

Noch schwie­riger als für Frei­be­rufler ist es für Klein­un­ter­nehmer mit der Schein­selbst­stän­dig­keit. Weil sie wenig verdienen, stehen sie unter Gene­ral­ver­dacht. Oft stellen Betriebs­prüfer der Renten­ver­si­che­rung eine Schein­selbst­stän­dig­keit fest. Die Indi­zien: geringe Umsätze, meis­tens nur für einen Auftrag­geber tätig, kein nennens­wertes wirt­schaft­li­ches Risiko. Wer dann seine Arbeits­zeit nicht frei einteilen kann oder sich an Vorgaben des Auftrag­ge­bers halten soll, gilt schnell als abhängig Beschäf­tigter. Viele Frei­be­rufler und Klein­un­ter­nehmer wollen aber ihr eigener Herr sein und nicht auf der Gehalts­liste des Auftrag­ge­bers stehen. Um Schein­selbst­stän­dig­keit zu vermeiden, sollten sie anwalt­lich klären lassen, ob Verträge und Zusam­men­ar­beit mit ihren Kunden rechts­si­cher sind. Dies ist umso wich­tiger, weil Auftrag­geber das Risiko nicht mehr allein tragen. Attes­tiert die Renten­ver­si­che­rung nach­träg­lich Schein­selbst­stän­dig­keit, mussten betrof­fene Frei­be­rufler und Klein­un­ter­nehmer bislang maximal Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­träge für drei Monate nach­zahlen. Der Arbeit­geber darf die Beiträge vom künf­tigen Lohn abziehen, falls der Mitar­beiter an Bord bleibt. Künftig drohen auch Schein­selbst­stän­digen unkal­ku­lier­bare finan­zi­elle Risiken.

Schein­selb­ststän­dige müs­sen Ho­no­rare zu­rück­zah­len

Das Bundes­ar­beits­ge­richt hat die Recht­spre­chung zulasten der Schein­selbst­stän­digen geän­dert. Attes­tiert die Renten­ver­si­che­rung einem Frei­be­rufler oder Klein­un­ter­nehmer rück­wir­kend Schein­selbst­stän­dig­keit und macht ihn zum sozi­al­ver­si­che­rungs­pflichtig Beschäf­tigten, dürfen Auftrag­geber „über­zahlte Hono­rare“ zurück­ver­langen. Denn durch die nach­träg­liche DRV-Einstu­fung seien Auftrag­geber nur verpflichtet gewesen, die übliche Vergü­tung für Ange­stellte zu zahlen, so die Richter. Im konkreten Fall hatte der Schein­selbst­stän­dige ein höheres Honorar kassiert. Die Diffe­renz zwischen dieser Vergü­tung und dem übli­chen Arbeits­lohn vergleich­barer Arbeit­nehmer musste er erstatten. Das übliche Gehalt bestimmte das Unter­nehmen anhand des Lohn­spie­gels der Bundes­agentur für Arbeit und Auskünften der IHK. Der inzwi­schen gekün­digte IT-Mitar­beiter musste 106.000 Euro zurück­zahlen. Für die Betrof­fenen können so hohe Regress­for­de­rungen exis­tenz­be­dro­hend sein. Vor entspre­chenden Aufträgen sollten Klein­un­ter­nehmer und Frei­be­rufler daher Schein­selbst­stän­dig­keit mit dem Anwalt bespre­chen, um recht­liche und finan­zi­elle Risiken zu begrenzen. Lautet das Urteil von DRV oder Rich­tern künftig auf Schein­selbst­stän­dig­keit, dürften sicher mehr Auftrag­geber die finan­zi­elle Rück­ab­wick­lung des Vertrags­ver­hält­nisses verlangen.

Wie Frei­be­ruf­ler eine Schein­selb­ststän­dig­keit ver­mei­den

Ange­sichts solcher Gefahren ist Vorsicht das oberste Gebot. Um das Risiko Schein­selbst­stän­dig­keit auszu­schließen, sollten Frei­be­rufler und Klein­un­ter­nehmer unbe­dingt den Rat eines Anwalts einholen. Er prüft, ob Verträge rechts­si­cher formu­liert sind und die Zusam­men­ar­beit klar defi­niert ist, damit das Urteil nicht gegen sie ausfällt. Zwar gibt es Krite­rien für Schein­selbst­stän­dig­keit, auf die sich DRV und Richter berufen, jedoch keine gesetz­lich fest­ge­schrie­bene Check­liste. Darum sollte niemand die folgenden Punkte als Check­liste miss­ver­stehen, sondern nur zur gene­rellen Orien­tie­rung nehmen. Beson­ders gefähr­lich ist es, wenn ein Frei­be­rufler oder Klein­un­ter­nehmer eine Schein­selbst­stän­dig­keit fürchtet, weil er keine Mitar­beiter hat. Dann sind am besten alle Tätig­keiten zu vermeiden, die der eines Fest­an­ge­stellten ähneln. Echte Selbst­stän­dige

• bestimmen selbst für wen und wann sie arbeiten, für sie gelten keine festen Arbeits­zeiten;
• entscheiden, ob sie Aufträge annehmen oder ablehnen;
• handeln die Kondi­tionen frei aus, ihre Hono­rare sind höher als das Gehalt von Ange­stellten;
• bleiben ihr eigener Chef, sie erhalten keine Weisungen;
• sind nicht in die Orga­ni­sa­tion ihrer Auftrag­geber einge­glie­dert;
• bekommen keine Visi­ten­karten ihrer Auftrag­geber und tragen keine Berufs­klei­dung;
• machen Werbung in eigener Sache, haben eigene Geschäfts­räume und nutzen Räume des Auftrag­ge­bers nur für einzelne Projekte;
• tragen ein wirt­schaft­li­ches Risiko, schaffen etwa Arbeits­ge­räte und Fahr­zeuge selbst an;
• nutzen daher nicht ausschließ­lich die Betriebs­mittel des Auftrag­ge­bers.

Bei Fragen spre­chen Sie uns gerne an.

Quelle: www.trialog-unternehmerblog.de, Heraus­geber: DATEV eG, Nürn­berg